Im 19. Jahrhundert bildete der konfessionelle Gegensatz zwischen Katholiken und Reformierten das zentrale politisch-kulturelle Spannungsfeld der Schweiz. Wie die Volkszählungsresultate auf Gemeindestufe zeigen, waren die Konfessionen im jungen Bundesstaat räumlich fast überall strikte getrennt. Diese räumliche Trennung veränderte sich in den ersten Volkszählungen kaum, was in der animierten Karte der dominanten Konfessionen pro Gemeinde deutlich zu sehen ist. Erst mit der beschleunigten Industrialisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeigten sich die ersten Durchmischungstendenzen. Dennoch kam es kaum vor, dass eine Gemeinde die dominante Religion wechselte.
Erst ab den 1970-er Jahren veränderte sich die Religionslandschaft in der Schweiz markant. Was einst undenkbar war, ist heute Realität: Es gibt Gemeinden, in denen keine der traditionellen Konfessionen mehr die Mehrheit stellt. Der dominante Trend der letzten Jahre ist die Säkularisierung, was mit einem steigenden Anteil an Personen ohne Religionszugehörigkeit einhergeht. Die einst klaren Konturen der Religionslandschaft haben sich verwischt.
Diese Karte zeigt die Entwicklung des Bevölkerungsanteils der dominanten Religion in den Gemeinden der Schweiz von 1850 bis 2014.
Bei der ersten Volkszählung 1850 – wenige Jahre nach dem Sonderbundskrieg (1847) zwischen den katholisch-konservativen und den liberal-radikalen Kantonen – waren die Konfessionen räumlich strikt getrennt. Wie die Karte zeigt, lebten in den meisten Gemeinden des jungen Bundesstaats entweder fast ausschliesslich Katholiken oder fast nur Reformierte. Von den Städten hatten einzig St. Gallen und Genf eine bedeutende konfessionelle Minderheit.
Die beiden reformierten Zentren waren denn auch von katholisch geprägten Gemeinden umgeben. In Genf handelte es sich um jene vormals französischen (savoyardischen) Gemeinden, die im Zuge des Wiener Kongresses dem Kanton Genf zugesprochen worden waren.
Diese Karte zeigt den Bevölkerungsanteil der dominanten Religion in den Gemeinden der Schweiz 1850.
Zu den wenigen Gemeinden mit einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen den Religionen gehörten damals Degersheim (SG) und Ramsen (SH).
Was die Kantone betraf, war die Mehrheit entweder klar katholisch oder eindeutig reformiert, mit Ausnahme von St. Gallen, Genf, Aargau, Graubünden und Bern, bei denen die konfessionelle Teilung innerhalb des Kantons verlief.
Der Kanton Bern umfasste damals auch das Gebiet des heutigen Kantons Jura. In den katholischen Teilen des Juras kam es bereits im 19. Jahrhundert zu massiven Spannungen zwischen den bernischen Behörden und der Bevölkerung. Es war die Zeit des Kulturkampfes, der Auseinandersetzung zwischen Staat und katholischer Kirche. Diese Spannungen hielten bis ins 20. Jahrhundert an und mündeten letztlich in der Gründung des Kantons Jura.
Der Kanton Bern war seit jeher vorwiegend reformiert und deutschsprachig. Die Bewohner des 1815 zugesprochenen Gebietes (Wiener Kongress) dagegen waren mehrheitlich französischsprachig und – im Nordteil – katholisch. Der Konflikt, der letzten Endes zur Abtrennung des Juras von Bern führte, war ursprünglich weniger sprachlicher, sondern kultureller Art. So sprach sich der ebenfalls französischsprachige, aber protestantische Südteil des Juras (Amtsbezirke La Neuveville, Moutier und Courtelary) bei der Kantonsgründung für den Verbleib bei Bern aus.
Bei aller Stabilität zeigten sich auf Gemeindeebene Zeichen einer allmählichen Durchmischung von Reformierten und Katholiken – ein langsamer, aber kontinuierlicher Prozess. Die Binnenwanderung – Voraussetzung für eine solche Entwicklung – war mit der Einführung der Niederlassungsfreiheit durch den neuen Bundesstaat erst möglich geworden. Wohnten 1850 noch rund 95% der Reformierten und Katholiken im traditionellen Gebiet ihrer Konfessionen, lag dieser Wert vor Beginn des Ersten Weltkrieges bei 78,9% für die Reformierten und bei 86,4% für die Katholiken.
Die Darstellung zeigt, dass sich die reformierten Gebiete bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwas rascher durchmischt hatten als die katholischen. Der Hauptgrund dafür war, dass die Zentren der Industrialisierung vorwiegend in reformierten Regionen lagen, und die Industrialisierung wiederum führte zu einer verstärkten Zuwanderung von Katholiken aus dem In- und Ausland.
Die Durchmischung der Konfessionen erfolgte zunächst nur langsam. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschleunigte sich dieser Prozess nochmals stark. Der Nachkriegs-Wirtschaftsboom führte zu einer starken Zuwanderung aus den südeuropäischen Ländern (Italien, Spanien, Portugal) und damit – wie schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – zu einem raschen Anstieg von Katholiken in traditionell reformierten Gebieten.
Diese Grafik zeigt die Entwicklung des Anteils der Katholiken und Reformierten in traditionell katholischen/reformierten Gebieten von 1850 bis 2014.
Die animierte Karte mit dem Anteil der Katholiken pro Gemeinde zeigt, dass sich nicht alle traditionell reformierten Gebiete gleich rasch durchmischten. Katholiken aus ländlichen Gebieten der Schweiz, aber auch aus Frankreich und Süddeutschland, wanderten in Gebiete ein, in denen die aufkommende Industrie Arbeitsplätze bot.
Dazu gehörten die Umgebungen um die Städte Basel, Genf, Neuenburg, St. Gallen und Zürich. In diesen reformierten Gebieten bildeten sich Diaspora-Gemeinden. Demgegenüber stieg der Katholikenanteil deutlich weniger rasch im oberen Baselbiet (Bezirke Liestal, Sissach und Waldenburg), im Berner Aargau (Bezirke Zofingen, Kulm, Aarau, Brugg, Lenzburg) und insbesondere im Kanton Bern. Es sind dies Regionen, die sich langsamer industrialisierten.
Diese Karte zeigt die Entwicklung der katholischen Bevölkerung in den Gemeinden der Schweiz von 1850 bis 2014.
Im durch und durch reformierten Berner Oberland zeigte sich bei der Volkszählung 1910 eine Anomalie. Wie auf der Karte deutlich erkennbar ist, waren Kandersteg und Kandergrund in diesem Volkszählungsjahr plötzlich katholische Dörfer. Hunderte von Gastarbeitern aus Italien hatten sich dort niedergelassen, um ab 1906 den Lötschbergtunnel zu bauen.
Zählten beide Ortschaften 1900 bei je rund 550 Einwohnerinnen und Einwohnern einen einzigen Katholiken, lag deren Zahl bei der nächsten Volkszählung bei 2377 (Kandersteg) respektive 1527 (Kandergrund). Die Katholiken verfügten somit über eine Zweidrittelsmehrheit. Schon 1920 war fast alles wieder beim Alten: Kandersteg und Kandergrund waren zu mehr als 95% reformiert. Die meisten Katholiken hatten die beiden Dörfer verlassen.
Diese Karte zeigt den Anteil der Katholiken und der Reformierten in Kandersteg und Kandergrund 1910.
Diese Grafik zeigt die Entwicklung des Anteils der Katholiken in allen Gemeinden der Schweiz von 1850 bis 2014. Hervorgehoben sind die Gemeinden Degersheim, Genf, Kandersteg, St. Gallen und Biberist.
Seit der ersten Volkszählung von 1850 nahm der Anteil der Katholiken in den traditionell reformierten Regionen schneller zu als umgekehrt. Dennoch zeigt die animierte Karte, dass auch der Anteil der Reformierten in einzelnen katholischen Regionen stark zugenommen hat.
Deutlich sichtbar wird diese Entwicklung zum Beispiel im traditionell katholischen Umland der Calvin-Stadt Genf zwischen 1850 und 1910, aber auch in der traditionell katholischen Region Baden (AG), wo die Arbeitsplätze des Industriekonzerns Brown Boveri & Cie. (die heutige ABB) ab 1900 Reformierte aus Zürich und aus dem Westen des Aargaus anzogen.
Diese Karte zeigt die Entwicklung der reformierten Bevölkerung in den Gemeinden der Schweiz von 1850 bis 2014.
Besonders auffällig ist die starke Zunahme an Reformierten im Süden des Kantons Solothurn. Zwischen 1850 und 1910 nahm im Gebiet um Grenchen, Solothurn, Biberist und bis nach Olten der Anteil der Reformierten in Dutzenden von Gemeinden um 25% und mehr zu. Spitzenreiter ist die Gemeinde Obergerlafingen, wo der Anteil der Reformierten von 3 auf 62% anstieg.
Auch hier war der Grund die Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts, als viele Betriebe und Fabriken rund um Solothurn entstanden (Uhrenindustrie in Grenchen, Papierfabrik in Biberist, Von Roll-Werke in Gerlafingen) und Arbeitskräfte anzogen. Der konfessionelle Wandel in den Solothurner Gemeinden führte zu einer neuen Verteilung der Konfessionen, welche bestehen blieb. Waren die meisten Orte im Kanton 1850 – mit Ausnahme des reformierten Bucheggbergs – noch solide katholisch, gab es 1970 mehrheitlich konfessionell gemischte Gemeinden.
Diese Karte zeigt die Veränderung des Anteils der reformierten Bevölkerung zwischen 1850 und 1910 in Prozentpunkten.
Trotz der zunehmenden Vermischung der Konfessionen veränderte sich deren Anteil an der gesamten Bevölkerung bis 1950 kaum: In der Schweiz lebten leicht unter 60% Reformierte und etwas über 40% Katholiken. Die Kategorie «Andere» verharrte derweil bei unter 2%. Wie das Diagramm zeigt, kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst zu einer Zunahme der katholischen Bevölkerung, die vor allem auf die Zuwanderung aus katholischen Ländern zurückzuführen war.
Der Anteil der Reformierten sank bereits ab 1941. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch den Umstand, dass Reformierte häufiger als Personen anderer Religionen gemischt-religiöse Ehen schlossen und die Religionszugehörigkeit tendenziell seltener an die Kinder weitergaben.
Diese Grafik zeigt die Entwicklung der Religionszugehörigkeiten von 1850 – 2014. Aufgrund der starken Zunahme werden in dieser Grafik Personen ohne bzw. Personen mit anderer Religionszugehörigkeit ab 1970 separat ausgewiesen.
Seit 1970 wandelte sich die Religionslandschaft in der Schweiz erheblich. Im Zuge der Säkularisierung, Pluralisierung und Individualisierung der Gesellschaft wandten sich immer mehr Menschen von den traditionellen Konfessionen ab. Seit 2000 wächst die Gruppe der Personen ohne Religionszugehörigkeit am stärksten.
Diese Grafik zeigt die Entwicklung des Anteils der Personen mit «Andere Religionszugehörigkeit» in allen Gemeinden der Schweiz von 1850 bis 2014. Hervorgehoben sind die Gemeinden Basel, Zürich, Genf, Lengnau (AG) und Endingen. Die Kategorie «Andere Religionszugehörigkeit» umfasst Personen mit anderer und Personen ohne Religionszugehörigkeit.
Andere Glaubensbekenntnisse als Reformierte und Katholiken spielten zahlenmässig in der Schweiz lange Zeit kaum eine Rolle. Sie wurden deshalb in den frühen Volkszählungen pauschal als «Andere» zusammengefasst. Diese anderen waren vorwiegend Juden. Mitte des 19. Jahrhunderts lebten rund 3000 Juden in der Schweiz. Da ihnen die Niederlassungsfreiheit bis 1866 verwehrt blieb, siedelten sie an wenigen Orten. Endingen (damals noch Oberendingen) und Lengnau im Aargauer Surbtal waren die einzigen Gemeinden, in denen sich Juden in der Eidgenossenschaft niederlassen durften. Und auch dort waren sie lediglich geduldet.
Vor 1970 war Oberendingen die einzige Gemeinde in der Schweiz, in der nicht die Reformierten oder Katholiken die häufigste Konfession stellten, sondern die Juden. Eine weitere bedeutende jüdische Gemeinde existierte in Avenches (VD). Sie bestand aus Zuzügern aus dem Elsass, war jedoch deutlich kleiner als jene im Surbtal.
Nachdem die Juden die Niederlassungsfreiheit erhielten, wanderten sie – wie auch die jüdischen Neuzuzüger – in die Städte ab. Bis 1920 wuchs die jüdische Glaubensgemeinschaft in der Schweiz auf rund 20 000 Personen an. Damals lebte mehr als die Hälfte in Zürich, Basel und Genf, heute vorwiegend in Städten und grösseren Agglomerationsgemeinden.
Diese Karte zeigt den Anteil der Bevölkerung mit "anderer" Religionszugehörigkeit 1850.
Diese Grafik zeigt die Entwicklung der Anzahl der jüdischen Bevölkerung in den Gemeinden Basel, Zürich, Genf, Lengnau (AG) und Endingen von 1850 bis 2014.
Die Religionszugehörigkeit wurde schon in der ersten Volkszählung von 1850 erfasst. Damals wurde nur zwischen Katholiken, Protestanten und Israeliten unterschieden. Ab der zweiten Volkszählung (1860) wurde für weitere Konfessionen die Kategorie «Andere christliche Konfessionen» eingeführt. Man ging zu dieser Zeit davon aus, dass alle Personen einer Konfession zugehören.
Die christkatholische Kirche löste sich in den 1870er-Jahren im Rahmen des Kulturkampfes von der römisch-katholischen Kirche, 1920 wurden die Christkatholiken erstmals als eigenständige Konfession erfragt. In den aggregierten Gemeindedaten sind sie jedoch erst ab 1941 separat für jede Gemeinde ausgewiesen.
Ab 1888 wurde die Antwortmöglichkeit erweitert auf «andere oder keine Konfession». Ab 1900 wurde die Frage offen formuliert, so dass eine Angabe ergänzt werden konnte («andere, welche?»). Ab 1930 wurden Resultate zu den Konfessionslosen gesondert von der Kategorie der anderen Religionen ausgewiesen. Ab 1980 konnte «keine» angekreuzt werden, ab 2000 zudem «muslimische Gemeinschaft» sowie «orthodoxe Gemeinschaft».
Damit eine durchgehende Zeitreihe der Religionszugehörigkeit beschrieben werden kann, wurden die neueren Kategorien aggregiert betrachtet. So erschliesst sich eine zeitliche Entwicklung der ursprünglich erfassten Kategorien (Katholiken, Reformierte, Andere) von 1850 bis in die Gegenwart.
Aus Gründen der Datenbeschaffenheit sind die Christkatholiken bis 1960 im Total der Katholiken enthalten, ab 1970 bis in die Gegenwart in der Kategorie «Andere».
Im Diagramm «Religionszugehörigkeit» sind ab 1970 die Anteilswerte der Personen ohne Religionszugehörigkeit separat ausgewiesen. Dadurch kann die gegenwärtige Entwicklung besser dargestellt werden.
Seit 2010 basiert die Information zur Religion auf zusammengefassten Stichproben aus mehreren Jahren (kumulierte Daten der Strukturerhebungen 2010-2014). Weitere Informationen dazu finden Sie auf der Methodenseite.